Die Bundesregierung legte Ende August den Gesetzentwurf zur digitalen Ton-und Videoaufzeichnung im Gericht vor: das sogenannte Hauptverhandlungsdokumentationsgesetz (DokHVG). Und da gibt es nun – wie üblich – einen erbitterten Streit. Ich verstehe das nicht.
Vielleicht beleuchtet ein Scherz die Situation am besten: Die frühere Justizministerin Dr. Weichner war während ihrer Tätigkeit bei der Justiz als Berichterstatterin in einem komplizierten Prozess tätig. Nach der Verurteilung des Angeklagten traf sie auf dem Gang mit dem Verteidiger zusammen. Der sagte: „Mein Beileid! In Ihrer Haut möchte ich nicht stecken, wenn Sie das Urteil begründen müssen.“ Darauf erwiderte sie scherzhaft: „Keine Sorge: Das machen wir alles über das Tatsächliche.“ Sie wollte damit sagen, dass die Unsicherheiten, die der Verteidiger sah, durch die Art der Darstellung im Urteil unter den Tisch gekehrt werden. Eine solche Gefahr besteht natürlich, denn das Gericht möchte ja sein Urteil möglichst revisionssicher machen.
Erschreckend war für mich früher einmal das Ergebnis einer Umfrage unter Anwälten, ob die Gerichte den Sachverhalt richtig erfasst hätten. Damals stimmte nur die Hälfte der Anwälte zu. Wenn auch die Umfrage ein halbes Jahrhundert alt ist, so wird sicher auch heute von vielen Anwälten die Erfassung des Tatbestands bemängelt.
Ich sehe kein Problem bei Tonaufnahmen: Die meisten Zeugen gehen sowieso davon aus, dass ihre Aussagen so aufgezeichnet werden.
Die Angst, dass solche Protokolle „durchgestochen“ werden, sehe ich nicht. Wenn Zeugen Angst vor der Veröffentlichung ihrer Aussagen haben, so besteht diese Angst sowieso, gleichgültig, ob ein Protokoll veröffentlicht wird oder ob ein Journalist aus der Sitzung berichtet.
Ich bin übrigens sowieso nicht dafür, dass aus den Tonaufnahmen Protokolle gefertigt werden. Das wäre ein enormer Arbeitsaufwand. Die Tonaufnahmen als solche sollten genügen, um eventuelle Fehler in den Urteilen aufzudecken:
Nehmen wir ein einfaches Beispiel: Eine Zeugin sagte, sie erkenne den Angeklagten ziemlich sicher wieder“. Im Urteil aber steht, die Zeugin habe den Angeklagten wieder erkannt, dann könnte der Verteidiger seine Revision auch darauf stützen. Nach der derzeitigen Rechtslage geht das nicht.
Oder ein Fall aus der Praxis: Es macht einen Unterschied, ob ein Gericht das Ergebnis eines Gutachtens mit 99,75 % Wahrscheinlichkeit so auch wieder gibt oder von „an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ spricht, denn bei einer Sicherheit von 99,75% kämen von 10.000 Menschen 25 als Täter in Betracht.
Weil hier also eine Sicherheitslücke besteht, muss die Presse aushelfen. Ich erinnere mich an einen Fall, in dem ein Richter sich beim Vorsitzenden des zuständigen Senats am BGH darüber beschwerte, dass „sein“ Urteil aus fadenscheinigen Gründen aufgehoben worden sei. Darauf erwiderte der Vorsitzenden: „Sie hatten eine so schlechte Presse, dass wir fanden, es solle noch mal eine andere Kammer darüber entscheiden.“
Wenn also die Presse aushelfen muss, um ein Fehlurteil zu verhindern, dann sieht man, wie notwendig es ist, von vornherein für eine sichere Tatbestandserfassung zu sorgen.
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