In einem alten Weihnachtslied heißt es am Schluss: „Die Alten schauen himmelwärts.“ Und bisher dachte ich, das sei auch so, denn je älter man wird, umso öfter wird man mit dem Ende seines Lebens konfrontiert.
Nun bin ich selber schon sehr alt und komme viel mit Leuten meines Alters zusammen. Zu meinem Erstaunen muss ich nun feststellen, dass je älter die Menschen werden, umso weniger glauben sie.
Sie werden vielleicht sagen, dass ich halt die falschen Menschen kenne. Aber es gibt schon eine Erklärung für die im Alter abnehmende Frömmigkeit: Die Kirchen tun ja alles, um die Menschen in ihrem Sinne zu prägen: Sie taufen entgegen dem Vorbild Jesu schon kleine Kinder und halten sie dann fest mit Kommunion, Firmung, Hochzeit, Messen und vielen Veranstaltungen. Aber die Menschen werden dann im Alter nüchterner. Die Prägung fällt auf einmal von ihnen ab und sie beginnen nachzudenken. Und dann stellen sie sich Fragen:
> Warum konnte Gott den Menschen ihre Sünden nicht einfach so vergeben, anstatt seinen Sohn dafür zu opfern?
> Kann eine Kreuzigung ein Zeichen von Gottes Liebe sein?
> Warum soll Gott erst mit der Sintflut die sündige Menschheit vernichtet haben und dann für diese Sünder seinen Sohn geopfert haben?
> Konnte Jesus seine Gotteseigenschaft so vergessen haben, dass er ausgerufen haben soll: „Mein Gott, warum hast du mich verlassen?
> Ist Jesus wirklich auferstanden, wenn Magdalena ihn für den Gärtner gehalten hat und zwei Jünger ihn erst am Brotbrechen erkannt haben wollen?
> Warum hat Jesus nie ein mächtiges Zeichen seiner göttlichen Natur gegeben, beispielsweise seine Himmelfahrt vom Zentrum Jerusalems aus? Das Wandeln übers Wasser können Gurus auch.
> Warum kam Jesus so spät in die Welt? Die Menschheit hätte es schon früher nötig gehabt.
> Warum lässt Gott so viel Leid an unschuldigen Kindern zu?
> Warum erhört er angeblich die Gebete von den einen, aber von den anderen nicht?
> Warum lässt er einen Pilgerzug verunglücken und eine Schule voll Kinder bei einem Erdbeben einstürzen?
> Sind die Wunderheilungen, die an Wallfahrtsorten geschehen sein sollen, nicht vielleicht nur Auswirkungen der Selbstheilungskräfte?
> Sind die Christen gescheiter als die meisten Juden, die seinerzeit Jesus selbst miterlebt haben, aber nicht geglaubt haben?
> Konnte Gott es zulassen, dass seine Kirche so viel Blut vergossen hat (Hexenverbrennungen, Kreuzzüge, Vernichtung der Katharer…)?
> Ist das wirklich Gottes Kirche, die unermessliche Reichtümer ansammelt und von Missbrauchsskandalen erschüttert wird?
Je mehr man über das Thema Religion nachdenkt, umso mehr Fragen tun sich auf. Und so wundert man sich nicht, wenn Kardinal Marx einmal sagte: „Es gibt keinen Glauben ohne Zweifel.“ Und ich muss ergänzen: „Wer nicht am Glauben zweifelt, hat nur noch nicht richtig nachgedacht,“