In meiner Kindheit wohnten wir in einem Zweifamilienhaus in Traunstein. Die zweite Wohnung hatte ein Mann inne, der für die Organisation Todt arbeitete. (Das war die Bautruppe des Dritten Reichs.) Dieser Mann war die rechte Hand des Chefs. Er baute die Deutsche Alpenstraße und verschiedene Straßen am Obersalzberg. Er war ein Meister seines Fachs, so dass ihn der Schah von Persien nach dem Krieg an seinen Hof holte.
Als der Krieg ausbrach und mein Vater als Soldat seinen ersten Heimaturlaub antrat, stellte uns unser Mitbewohner netterweise eine hübsche Straßenbauerhütte am Obersalzberg zur Verfügung, die ich in guter Erinnerung habe. Und eines Abends wurden wir sogar in den Platterhof eingeladen. Das war ein nobles Lokal der Nazis am Obersalzberg. Obwohl ich damals 5 Jahre alt war, habe ich diesen Abend noch in präziser Erinnerung. Es herrschte dort nämlich eine ganz eigene, fast weihevolle Stimmung, die natürlich schon durch die einmalige Lage des Hauses und den großartigen Ausblick bedingtwar. Damals waren etliche Nazi-Größen dort zu Gast, die mir nicht mehr in Erinnerung sind. Sie saßen an der Stirnseite des Saales und ständig kamen Ordonnanzen in Uniform an ihren Tisch, salutierten und meldeten irgend etwas. Das ganze war wie ein Schauspiel, das mir sehr imponierte, zumal ich als Bub in höchsten Kreisen dabei sein durfte.
Unser Mitbewohner hatte etwas, was damals selten war: ein Auto. Und so wollte er uns noch etwas Gutes tun und fuhr uns zu großartigen Aussichtspunkten. Zwei davon sind mir in Erinnerung. Es waren herrlich gelegene Häuser, die Freunden von Hitler gehörten. Einer war Maler, der andere Fabrikant. Die beiden hatten an Stellen bauen dürfen, wo sich kein anderer hätte niederlassen dürfen.
Gegen Kriegsende war ich noch einmal dort. Da war die ganze Gegend oben strengstens abgesperrt und eine Masse von Fahrzeugen verkehrte hin und her. Man vermutete, dass hier Hitlers Haus am Obersalzberg verteidigt werden sollte. Darüber wurden die wildesten Gerüchte verbreitet. In einem davon wurde behauptet, dass diejenigen, die dabei gearbeitet hatten, Kriegsgefangene gewesen seien, die aus Gründen der Geheimhaltung alle erschossen worden seien. Manchmal denke ich, dass damals vielleicht das Nazigold dort deponiert wurde. Und so habe ich eine Geschichte darüber geschrieben:
https://autorenseite.wordpress.com/krimi-dem-wahnsinn-nahe/
Nachtrag: Der Platterhof wurde von den Amis beschlagnahmt und in Hotel „General Walker“ umbenannt. Als es dann an Deutschland zurück gegeben wurde, wurde es dem Erdboden gleich gemacht, denn Berchtesgaden will nichts mit der Nazivergangenheit zu tun haben, die diesem Ort gegen seinen Willen aufgezwungen worden war. Stattdessen befindet sich dort ein Dokumentationszentrum über die Verbrechen der deutschen Wehrmacht. Hier bewahrheitet sich ein Ausspruch meines Vaters: „Der deutsche Kellner ist der beste“, womit er nicht das Bedienungspersonal meinte, sondern die Deutschen an sich, die an einem Beflissenheitssyndrom leiden würden. Kein anders Volk oder die Kirche wühlen so in den Wunden ihrer Vergangenheit wie die Deutschen. So wird es beispielsweise auf dem Petersplatz kein Denkmal für die Hexenverbrennungen geben.
Und zum Schluss noch etwas: Ich bin zwar nicht beim Schah von Persien gewesen, habe aber von ihm einen Brief bekommen, wie Sie in der Leseecke in der Geschichte „Ein ganz normaler Tag lesen können.