Man spricht oft von gewissenlosen Menschen oder Taten. Aber stimmt das? Haben nicht auch diejenigen, die wir als gewissenlos bezeichnen, in Wirklichkeit doch ein Gewissen, über das sie sich nur hinweg setzen, ohne sich der Folgen bewusst zu sein?
Nehmen wir Srebrenica als Beispiel: Ein Soldat, der an den Massenerschießungen teilgenommen hatte, berichtete in einem Interview, er habe zwar auf Befehl gehandelt, aber werde trotzdem seine Schuld nie los. Sein Leben mit dieser Schuld sei ein einziges Martyrium.
Auf der Gegenseite stand damals eine UN-Truppe, die aus Holländern bestand. Diese Truppe sah sich seinerzeit einer Übermacht der Serben gegenüber und hat sich kampflos aus Srebrenica zurück gezogen, weil eine Abwehr der Serben als nicht möglich erschien. Dennoch berichtet ein holländischer Soldat, er werde mit dieser Schuld nicht fertig. Für ihn wäre es besser gewesen, wenn er auch in aussichtsloser Lage gekämpft hätte, als mit dieser Schuld weiter zu leben.
Eine Geschichte aus dem letzten Krieg zu diesem Thema habe ich unter dem Titel „Der Ordensträger“ in meine Leseecke gestellt.
Und wenn ich nun die Grausamkeiten des IS sehe, denke ich mir, dass hier junge Männer am Werk sind, die im Leben keine Chance hatten und nun plötzlich die Gelegenheit bekamen, sich als Herren über Leben und Tod aufzuspielen. Aber irgendwann werden sie aus ihrem Wahn erwachen und vielleicht meinen, es wäre besser gewesen, wenn sie in der Rolle der Geköpften gewesen wären. Ich glaube daher, dass sich das Gewissen bei der Tötung von Menschen nicht ausschalten lässt. Man sieht dies beispielsweise auch bei der Heimkehr von Kriegsteilnehmern: Viele sind schwer traumatisiert.
In einem Punkt scheint das Gewissen allerdings zu versagen: bei der Steuerhinterziehung. Hat man je gehört, dass ein Steuerhinterzieher plötzlich reuig geworden ist und sich gesagt hat: Was bin ich nur für ein mieser Typ, der Arbeitnehmer von ihrem kleinen Einkommen Steuern zahlen lässt, von denen ich auch profitiere, während ich mein Millioneneinkommen vor dem Finanzamt geheim halte? Warum versagt also das Gewissen bei der Steuerhinterziehung? Ganz einfach deshalb, weil der Staat mit den Steuern in einer Weise umgeht, dass dies geradezu eine Anstiftung zur Steuerhinterziehung ist und gleichzeitig auch eine Rechtfertigung solcher Taten.