
Ich war kürzlich in Füssen und habe mir das Musical über König Ludwig angeschaut. Ich war begeistert von der Aufführung und meine Sitznachbarin im Festspielhaus platzte vor Vorfreude auf das Stück und sagte mir, sie sei zum 5. Mal da. Meine Nachbarin zur Rechten hörte das und stimmte mit ein: Sie sei auch schon zum 5. Mal da, was bei den hohen Preisen beachtlich ist.
Auch ein Stadtbummel durch das altehrwürdige Füssen vermittelte mir den Eindruck, dass hier die Welt noch in Ordnung ist.
Wie anders sieht es in Bad Reichenhall aus: Die Stadt hat einen Niedergang ohnegleichen hinter sich. Vor 4 Jahrzehnten, als wir über das Alter nachdachten, stand für uns fest: Wir ziehen dann aus unserem Haus am Berg nach Bad Reichenhall. Wir mieteten uns eine kleine Zweitwohnung und genossen das vielfältige Leben in der Kurstadt. Damals war es ja so, dass die Ärzte ihren Patienten jenseits der 50 eine vierwöchige Kur zur Stabilisierung der Gesundheit verschrieben und so besaß Bad Reichenhall eine „Gelddruckmaschine“, die allerdings jäh ins Stocken geriet, als die Gesundheitsreform kam: Da wurde nicht nur die Kurdauer auf 3 Wochen beschränkt, sondern die Krankenkassen knauserten mit deren Genehmigung. Typisch war dies Erlebnis: Ich sah im Bad eine weinende Frau und wollte sie trösten. Sie erzählte, dass ihre Reha nicht verlängert worden sei, obwohl sie noch nicht richtig laufen könne und nicht wüsste, wie sie so zu Hause leben könne.
Ein Beispiel für den Niedergang der Stadt: Ein bekanntes Juwelierehepaar hatte einen ausgezeichnet laufenden Laden. Die beiden erzählten, dass ihre Stammkunden jedes Jahr zur Kur kämen und teuren Schmuck kaufen würden. Heute befindet sich in diesen Geschäftsräumen ein Laden, wo für wenig Geld selbst getöpferte Kleinkeramik verkauft wird.
Der Staat half der Stadt dabei, ihren Niedergang zu stoppen: Er schenkte ihr ein Kurgastzentrum mit einem schönen Theater und beteiligte sich an der Therme. Aber das half alles nur wenig: Im Theater. wo einst Bühnen sogar aus Krakau, Odessa … kamen, ist nun „tote Hose“. Es wäre fast gar nicht mehr los, wenn nicht das Gymnasium mal ein Stück aufführen würde oder die Ballettschule ihren Auftritt hätte. Die Münchner Bühnen, die eigentlich auch einen Bildungsauftrag für die Provinz haben, stellten ihre Besuche ein, ohne dass man etwas dagegen unternahm.
Uns deprimierte der Niedergang der Stadt und wir zogen wieder weg, zumal wir als engagierte Bürger angefeindet wurden. Ich schrieb damals Beiträge für die von einem anderen Bürger gegründete Zeitschrift und machte Vorschläge für die Zukunft der Stadt.
Das Echo der Stadt kam prompt: Sie beschimpfte mich als „vollmundigen Neubürger“ und als „Giftspritze“. Typisch war auch dies Erlebnis: Als ein Stadtrat an der Kasse eines Geschäfts gefragt wurde, ob er nicht auch noch die Zeitschrift mitnehmen wolle, sagt er: „Net mit der Beißzang dat i’s oglanga!“
Witzigerweise wurde dann nach unserem Wegzug etliches von dem verwirklicht, was ich vorgeschlagen hatte. Nur zwei Beispiele:
So wurde dieses scheußliche Kunstwerk, das die Sparkasse der Stadt geschenkt hatte, aus dem Kurgarten entfernt, der nun entsprechend meinem Vorschlag nicht mehr „alt“, sondern „königlich“ heißt:

Was hatte so etwas in einem Kurgarten, der für die Heilung dienen soll, zu suchen? Und auch dieser Wasserkopf von Mozart hatte auf einmal das gleiche Schicksal:
Dieses „Kunstwerk“ war, wie ich heraus fand, ohnehin nur eine aufgeblasene und verzerrte
Kopie dieses Bonbonpapiers:

Von den vielen Vorschlägen, die ich machte, möchte ich nur noch diesen erwähnen: Das Fernsehen suchte einen Nachfolgedrehort für die Rosenheimcops. Diese Stadt erlangte durch die Sendung ebenso wie vorher Bad Tölz durch den „Bullen“ eine große Beliebtheit, und so meinte ich, dass sich Bad Reichenhall bewerben sollte, da es u. a. mit den Gängen der Saline ideal für einen Krimi geeignet sei. Aber Vorschläge von einer „Giftspritze“ greift man grundsätzlich nicht auf, und so „ermittelt“ nun „Watzmann“.
Warum ich das alles erzähle? Weil es ein Lehrbeispiel für Deutschland ist: Man kann unsere Unternehmen noch so sehr mit Nullzinspolitik und Subventionen stützen – dann sind sie wie ein Todkranker am Tropf. Da wird es eines Tages ein böses Erwachen geben wie in Bad Reichenhall. Vor allem das Abschotten der Regierenden gegen Ideen von Außen wird Folgen haben.
Und so reiben sich die deutschen Autohersteller verwundert die Augen, wenn nun Tesla vor ihrer Nase in Brandenburg zeigt, wo die Zukunft des Autos liegt.
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