In diesem Buch blicke ich auf meine Zeit im Berufsleben zurück.
Fortsetzung von Teil I.
Beim Lernen ist es wie beim Sex: Die meisten glauben, das bräuchte man nicht zu lernen.
Das ist ein gewaltiger Irrtum. Wie man richtig lernt, habe ich langsam begriffen und möchte hier meine Erfahrungen mitteilen, damit andere davon profitieren. Im ersten Teil habe ich geschildert, wie ich als „minder begabter“ Schüler gerade noch das Abitur geschafft habe.
Dennoch habe ich mich zu einem Studium entschlossen. Da kam für mich nur das Jurastudium in Frage, weil es bei Null begann, also mir auch für einen Menschen ohne „hochzeitliches Gewand“ (siehe Teil I) als geeignet erschien, zumal man nicht so viel auswendig lernen musste wie in anderen Fächern. Und siehe da: Es hat geklappt. Ich bin Richter geworden, habe eine Familie gründen können und mir ein Haus im schönen Bayern leisten können. Und manchmal denke ich, was wohl aus mir geworden wäre, wenn es die Sozis nicht gegeben hätte, die mir das Gymnasium eröffneten und so für mich ein Abitur und ein Studium ermöglichten.
Wie konnte es sein, dass ich es so weit gebracht habe, dass ich sogar Professor hätte werden können? Ich führe das darauf zurück, dass ich intuitiv erfasst habe, wie man richtig lernt. Wenn ich so sehe, wie sich in meinem Blickfeld die Jugend bis in die Nacht und auch an Wochenenden bemüht, sich den Lernstoff anzueignen, dann ist das aus meiner Sicht völlig falsch:
In vielen Religionen gibt es so etwas wie das Sonntagsgebot. Das beruht auf der Erfahrung, dass der Mensch nicht dauernd arbeiten kann, sondern auch eine Phase der Erholung braucht. Das ist danach auch gut für die Arbeit. Inzwischen ist ja viel darüber geforscht worden, wie man am effektivsten arbeitet und da hat man die 52:17-Regel entdeckt. Man soll also 52 Minuten arbeiten und dann 17 Minuten ruhen. Streber werden das verrückt finden, aber das ist halt Stand der Wissenschaft. (Also ist das System der Schulstunden gar nicht verkehrt.)
Und noch etwas ist eine wichtige Erkenntnis der Havard-Universität: Man lernt nicht beim Lernen, sondern in den Phasen des Ruhens. Das bedeutet: Lernen bis in die Nacht hinein lohnt sich nicht. Ausreichend ist Schlaf wichtig, weil das, was sich sozusagen nur im „Arbeitsspeicher“ des Gehirns befindet, dann in die tieferen Regionen unseres Kopfes eingelagert wird.
Wie ich es fertig brachte, ein gutes Examensergebnis zu erzielen, war allerdings etwas anders. Ich wollte unbedingt Amtsrichter in einem schönen bayerischen Gebirgsort werden und sagte mir, dass ich für den Beruf nicht geeignet sein würde, wenn ich täglich mehr als 8 Stunden (also den üblichen Arbeitstag lang) lernen würde. Ich wohnte damals in München und fuhr fast jeden Abend mit dem Rad nach Schwabing in eine der Studentenkneipen zum Tanzen, trank ein Glas Bier und war schon um 22 Uhr im Bett. (Wie blöde ist die nun eingerissene Unsitte, erst kurz vor Mitternacht in die Disco zu gehen!)
Am Wochenende war ich als Bergwachtmann im Gebirge. Wie ich später erfuhr, hatte ich daher Blutwerte wie ein Gedopter, denn die dünnere Luft in der Höhe führt dazu, dass man mehr rote Blutkörperchen bekommt. Vielleicht lernt man als Gedopter leichter. Mein Bergkamerad, der ebenfalls mit mir an den Wochenenden unterwegs war, brachte es neben Beruf und großer Familie sogar zum Professor für Physik, obwohl er nicht einmal einen Doktortitel hatte. Man sieht also: Bergsteigen statt Lernen am Wochenende wirkt.
Noch etwas ist fürs Lernen wichtig. Ein Professor drückte es so aus: „Ich sehe lauter Hobojus – das bringt nichts!“ Mit „Hobojus“ beklagte er die Zunahme von „Hosenbodenjuristen“, also Studenten, die nichts als ihr Studienfach im Auge hatten.
Das war früher anders: In der Münchner Uni gibt es ein Auditorium Maximum. Dort kamen seinerzeit die Studenten zusammen, um die Kapazitäten zu hören, die dort lehrten. Ich hörte damals den Religionsphilosophen Guardini und Vorlesungen von Sedlmayr über den „Verlust der Mitte“. Das war „Universität“ im wahrsten Sinne des Wortes. Sie wird mehr und mehr von Hochschulen abgelöst. Und so sind aus den Studenten immer öfter „Studierende“ geworden. Die Sprache ist sehr feinfühlig und so drückt die Änderung der Wortwahl auch eine Änderung der Mentalität aus.
Lange Rede – kurzer Sinn: Die Begegnung mit dem völlig anderen weitet die Kapazität des Gehirns. Das wusste man noch früher. Deswegen waren Akademiker auch gebildete Menschen, während viele, die studiert haben, nur Fachleute für ihr Gebiet sind, wie ja auch der Automechaniker ein Fachmann für Autos ist.
Noch etwas ist mir aufgefallen: Nicht nur ich war in den Semesterferien in den Bergen, sondern auch zwei Referendarinnen, die ich ausbildete. Beide arbeiteten mit Begeisterung in den Ferien als Sennerinnen, anstatt fürs Examen zu lernen. Trotzdem erzielten sie bei der Prüfung ausgezeichnete Ergebnisse. Völliges Abschalten bringt also gewaltige Power fürs Lernen.
Abschließend fällt mir zur Entspannung noch etwas zum Thema Sozis, denen ich alles verdanke:
Ja, das waren noch Zeiten damals nach dem Krieg, als es noch Menschen gab, die die Sozialdemokraten für Sexualdemokaten hielten, wie diese Anekdote aus meiner Sammlung (bitte lesen!) belegt:
Nach dem Krieg war die Demokratie ein völlig neues Erlebnis für die Deutschen. Es wurden Parteien gegründet, von denen man nicht viel wusste.
Unser Briefträger, der einmal berichtet hatte, dass eine neu zugezogene Familie nackt in der Wohnung herum lief, wusste plötzlich, woran das lag: „Das sind Sexualdemokraten.“